Mivos Quartett: Memories · Eva Reiter & Tom Pauwels: Idylle Dramatique


Mittwoch, 7. Mai 2025 · 20:00 Uhr

 

Evoto

Mivos Quartett: Memories

Olivia De Prato – Violine
Adam Woodward – Violine
Victor Lowrie Tafoya – Viola
Nathan Watts – Cello

Das Mivos Quartet, „eines der gewagtesten und wildesten Ensembles für neue Musik“ (The Chicago Reader), widmet sich der Aufführung von Werken zeitgenössischer Komponisten und der Präsentation neuer Musik für ein vielfältiges Publikum. Dabei ist das 2008 in New York City gegründete Quartett, dessen Mitglieder auch selbst komponieren und arrangieren, besonders an einer beständigen und langfristigen Zusammenarbeit mit Komponistinnen und Komponisten unterschiedlicher Ästhetik interessiert. Das Quartett erhielt 2019 den Dwight- und Ursula-Mamlok-Preis für Interpretation zeitgenössischer Musik. Es wurde bei renommierten Festivals wie die New York Phil Biennale, Wien Modern Festival, Newport Jazz Festival, Asphalt Festival, HellHOT! Festival (Hongkong), Monterey Jazz Festival, Edgefest (Ann Arbor, MI), Música de Agora na Bahia (Brasilien), Aldeburgh Music (Großbritannien) und bei der Biennale di Venezia eingeladen. Mivos investiert in die Beauftragung und Uraufführung neuer Musik für Streichquartett und bemüht sich, über längere Zeiträume eng mit Komponisten zusammenzuarbeiten. Vor kurzem hat Mivos bei neuen Werken von Jorge Sanchez-Chiong, Sam Pluta, Dan Blake, George Lewis , Eric Wubbels, Kate Soper, Patrick Higgins (ZS) und dem Dichter/Musiker Saul Williams mitgestaltet. Neben der Erweiterung des Streichquartett-Repertoires engagiert sich Mivos auch für die Zusammenarbeit mit Gast-Künstlern, die Erforschung von Multimedia-Projekten mit Live-Video und Elektronik sowie die Aufführung improvisierter Musik. Neben der Zusammenarbeit mit Dan Blake und Saul Williams führte dies zu Auftritten und Tourneen mit Künstlern wie Ambrose Akinmusire, Ned Rothenberg, Mary Halvorson, Nate Wooley, Ingrid Laubrock und Cécile McLorin Salvant.
www.mivosquartet.com

Programm „Memories“ – Kairos Cd release

Victor Baez: Ehecamalacotl II, 2024 (15min)
Ambrose Akinumusire: May our centers hold (8’)
Ingrid Laubrock: Ashes, 2022/24 (Mivos/Kanter Prize Winner 2022) (12min)
Alec Hall: The Water’s memory, the memory of Sand (2021) (15min)

 

Eva Reiter & Tom Pauwels: Idylle Dramatique

Werke von Marin Marais (1656-1728) und Burkhard Stangl (*1960)

Eva Reiter – Viola da Gamba
Tom Pauwels – E-Gitarre

„Sofern das menschliche Leben als forschendes der Zeit selbst nachgeht, um zu erkunden, was sie sei, sieht es sich auf die »See¬le« und den »Geist« verwiesen. Das Fragen bleibt dabei stehen, ob diese am Ende »die Zeit« seien.“1

In ihrem neuen Programm Idylle dramatique gehen Eva Reiter und Tom Pauwels den vielfältigen Betrachtungsmöglichkeiten eines spezifisch musikalischen Zeitverständnisses nach. Dabei wird Zeit sowohl als Raum aufgefasst, in den sich musikalische Ereignisse einschreiben lassen, als auch als historische Linien, mit denen musikgeschichtlichen Strukturen verwoben sind. Im Zentrum des Programmes stehen einige ausgewählte Werke des französischen Komponisten Marin Marais, interpretiert auf Viola da Gamba und E-Gitarre.

Marais war eine charakteristische Künstlerpersönlichkeit seiner Zeit, der sich als Hofkomponist stets vom Geschmack seiner Epoche, dem bon gout inspirieren ließ. Nach Lullys Tod beherrschte der „Musik-Krieg“ zwischen dem italienischen und dem französischen Geschmack die Öffentlichkeit. Der Streit erhob sich vor allem über die Frage, ob sich die hochentwickelte Affektdarstellung der italienischen Musik – etwa in der Musik von Alessandro Stradella, Alessandro Scarlatti oder Arcangelo Corelli – auf die französische Musik übertragen ließe. Bedeutende Komponisten wie François Couperin oder Marc-Antoine Charpentier experimentierten mit der Vermischung der Stile. Die Traditionalisten aber – und dazu zählte Marais fraglos– lehnten die erweiterte Harmonik, Chromatik und Koloratur des italienischen Stils vehement ab. 1686 gab Marais sein Debüt als Hofkomponist. In Versailles wurde seine Oper ‚Idylle dramatique‘ zur Aufführung gebracht und dies mit so großem Erfolg, dass der Dauphin eine Wiederholung wünschte. Die Musik ist leider verschollen gegangen.

Burkhard Stangl – selbst einer der brillantesten Gitarristen sowie Komponist und Improvisator im Feld der experimentellen, elektronischen und neuen Musik – schafft nun dreieinhalb Jahrhunderte später mit seiner Version einer Idylle dramatique einen luziden, feinsinnigen Kommentar zur Musik Marin Marais’. Hier wird Zeit nicht nur geschichtlich perforiert und zum Stillstand gebracht, sondern sie spielt vermutlich auch keine entscheidende Rolle mehr.

Was passiert, wenn die Zeit still steht? Oder anders gefragt: Was lässt sich alles denken, wenn die Zeit keine Rolle mehr spielt? Marais, hätte er das Instrument gekannt, wäre er begeistert gewesen von den klanglichen Möglichkeiten einer E-Gitarre? Musik braucht ihre Zeit, Musik selbst hat ihre Eigenzeit, und schließlich ist Musik tatsächlich Ausdruck ihrer Zeit. Zeit wird gestaucht oder „verschoben“ – oder nahezu zum Stillstand gebracht. Aber was geschieht in den Zwischenräumen? Ist die Musik wirklich erst hier, also bei uns Hörerinnen und Hörern, wenn der erste Ton erklingt?

Wenn es uns gelingt, offen zu werden für musikalische und zeitliche Übergänge, dann spüren wir vielleicht, wie sich in die heutige Musik die „Vergangenheit“ ganz “natürlich” einlagern kann, wie ein Kontakt in den Zwischenräumen der Geschichte entsteht, in dem am Ende gar nicht mehr klar ist, was – oder wer – zuerst da war.

In diesem Sinne schreiben wir uns ein in diese wundersamen Werke der Barockmusik, wir kommentieren und spiegeln sie. Wir bringen sie an ausgewählten Momenten zum Stillstand, um nur für einen kleinen Moment ihre »See¬le« und den »Geist« als unendlich zeitlos erfahrbar zu machen.

1 Heidegger , Martin: Der Begriff der Zeit. In: ders.: Gesamtausgabe, III. Abteilung: Unveröffentlichte. Abhandlungen, Vorträge, Gedichte, Band 64, 134 S., Ln., 2004, Klostermann, Frankfurt