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Joachim J. Vötter : Yorick stirbt

Hubert „Hubsi“ Kramar spielt in Joachim J. Vötters Komödie „YORICK STIRBT“ den Theaterdirektor, der genug hat vom Theater. Die Rolle hat Vötter dem Wiener OFF-Theater-Star auf den Leib geschrieben und ist auch eine Hommage an seinen langjährigen Freund und Förderer. Den Dichter spielt Markus Kofler, den Schauspieler Daniel Doujenis. Beide sind mit kryptischen Botschaften ins Theater bestellt worden, ohne wirklich zu wissen, wozu sie gebeten sind.

„Ich möchte die Herren daran erinnern, dass wir uns hier eingefunden haben, um die Welt zu Kleinholz zu machen und nicht, um uns zu verbrüdern!“, schnauzt der Direktor die beiden an und befiehlt ihnen, ihm beim Zertrümmern des Bühnenbildes zu helfen.

Ein letztes Mal gibt er im Foyer seine Paraderolle als Adolf Hitler. Bevor der rote Vorhang fällt, holt er den Totenschädel aus dem Fundus, um Auge in Auge zu resümieren: „Ein Hauch von Leben rührt sich in dem weiten Dunkel. Wo die Gestirne unbeirrbar Jahrmillionen Jahre standen, bestaunen mich an ihrer Stelle Augen, um das an mir zu suchen, was Hamlet einst an dir gesucht: das entwichene Leben des geliebten Narren, auf dessen Rücken er als Kind wohl tausend Male ritt.“

Wir werden die Welt zerschneiden, sagte er,
im Theater, die Welt zertrümmern!

Gott hat die Welt aus dem Nichts geschaffen.
Und das Nichts schmeckt durch.
(Paul Valery)

Es geht nirgends merkwürdiger zu als auf der Welt.
(Kurt Tucholsky)

Joachim Joe Vötter gehört zu den Dichtern, die eindeutig mehr Zeit in Gasthäusern und diversen Nachtlokalen verbringen als im Theater. Das hat eine lange Tradition in Graz und deshalb hat er auch meine uneingeschränkte Sympathie.

Tradition hat in Graz auch, alle Wolfgang Bauer und Werner Schwab nachfolgenden Theaterdichter zu ignorieren, vor allem, wenn Sie keine Schreibwerkstätten besuchen und sich nicht dem Mainstream anbiedern, wo auch immer der gerade langfließen mag. An der Qualität allein kann es nicht liegen. So gut wie die freien Grazer „Theaterschaffenden“, die seit geraumer Zeit ihre Texte selber zu schreiben pflegen, sind die meisten allemal.

Ich erinnere mich an den an der Glastüre der Literaturabteilung des ORF Steiermark befestigten Zettel mit der Aufschrift „Sei stark und liebe Dichter“. Dahinter fristete ich als geduldeter freier Mitarbeiter von Ö1 18 Jahre lang mein Dasein und sicherte mir mit Literatursendungen und Features mein Überleben als freier Künstler, Musiker und Theaterregisseur. Damals hießen die Intendanten noch nicht Wrabetz und hatten noch nicht LED-Lampen in der Birne, sondern erinnerten sich gelegentlich daran, dass der ORF einen Kulturauftrag hat.

Als von Ziehvätern wie Peter Handke, Gerhard Roth, Wolfgang Bauer, Herbert Achternbusch oder H. C. Artmann (um ein paar wenige berühmte zu nennen) sozialisierter Künstler und Kunstliebhaber ist mir das Risiko einer Auftragsarbeit bewusst, aber auch die Pflicht, als nunmehriger Theaterleiter eines Autorentheaters Dichtern die Möglichkeit zu geben, für kurze Zeit unbelastet von finanziellem Druck an einem Text zu arbeiten.

Dass man sich hernach immer wieder fragt, warum man sich das antut und auch noch von den Subventionsgebern dafür zusammengepfiffen wird, wenn das Ergebnis auf den ersten Blick nicht die stets großen Hoffnungen erfüllt, gehört zum täglichen Brot und muss erlitten und ausgehalten werden. Aber selbst wenn sich da plötzlich ein Text im Postkasten findet, der nicht den eigenen Erwartungen entspricht, sollte man sich daran erinnern, dass es auch in der Liebe nicht immer der erste Blick ist, der über die Länge und die Intensität einer Beziehung entscheidet.

Joachim Vötter hat sich entschieden, für Drama Graz eine Hommage an seinen langjährigen Freund und Mentor Hubert „Hubsi“ Kramar zu schreiben. Seine Idee war es auch, dass Kramar die Hauptrolle spielen solle. Die Idee ist in mehrfacher Hinsicht zwingend: Das Wissen um die Verdienste des Geehrten um die Wiener freie Szene vorausgesetzt ist Kramar ein Enfant Terrible des Theaterbetriebs, dessen - stets auch politische - Kunstaktionen selbst über Österreich hinaus wahrgenommen wurden und werden.

Hubert Kramar wird 1948 im niederösterreichischen Scheibbs geboren. Nach der Matura 1969 unternimmt er viele Reisen, bevor er das Max Reinhardt Seminar, die Filmhochschule und das Dramatische Zentrum in Wien besucht. Anschließend studiert er an der Havard University postgradual Arts Administration. Weiterbildungen bei Jerzy Grotowski (Polen), Jérôme Savary (Paris) und La Mama NY folgen.

Legendär und berühmt gemacht haben Kramar seine öffentlichen Auftritte: Wenn er, wie 2000, als Protestaktion gegen Schwarz-Blau als Adolf Hitler kostümiert den Opernball besucht. Wenn er, wie 2004, bei der Europawahl symbolisch an zwanzigster Stelle für die LINKE Liste kandidiert. Oder, wenn er, wie 2009, mit der satirischen Farce Keller-Soap-Pension-Fritzl, die Weltpresse an der Nase herumführt und ihnen den Spiegel vorhält.

In seinem 3raum-Anatomietheater werden alle Theaterstücke Vötters unter der Regie Kramars uraufgeführt, der immer auch eine der Hauptrollen spielt. Inspiriert zu diesem Stück wurde Vötter nicht zuletzt durch die Ankündigung des 65-jährigen Kramar, in Pension zu gehen und dessen Entschluss, sein 3raum-Anatomietheater zu schließen.

Ein Autor schreibt seinem Theaterdirektor und Regisseur ein Stück, könnte man sagen. Auf den Leib, könnte man sagen. Aus Dankbarkeit, Zuneigung, Freundschaft. Das er sich selber hineinschreibt und seinem Lieblingsschauspieler auch gleich eine maßgeschneiderte Rolle hinzufügt, mag man kopfschüttelnd bis augenbrauenhochziehend zur Kenntnis nehmen. Tatsache ist, dass sich der theatralische Kosmos des Dichters Vötter aus diesen drei Menschen zusammensetzt. Die letzten Jahre waren geprägt von der Zusammenarbeit mit diesen Persönlichkeiten. Dass das Herz des Autors beim Schreiben übergegangen ist, ist da mehr als verständlich. Dass ich als Außenstehender den Abend inszenieren und den Text einrichten darf, ehrt mich und bürdet mir eine besondere Verantwortung auf. Nicht nur ein Text über den Schauspieler, Regisseur und Aktionisten Hubert Kramar, nicht nur ein Text über die Beziehung dreier Theatermenschen in einem Theaterbetrieb ist das, sondern der Autor versucht, seine Wahrnehmung von Theater anhand dieser drei Personen und der speziellen Situation der Schließung (s)eines Theaters zu reflektieren. Dem gerecht zu werden, ist eine Herausforderung. Umso mehr, als hier das Theater für die Welt generell steht.

Wie geht man damit um, ohne gleich seinen eigenen Senf dazuzugeben und privat zu werden? Das mag der Zuschauer im sogenannten „freien“ Theater nämlich gern: Wenn er - befreit vom Allgemeinwissen des Bildungsbürgertums - die Handlung ohne große Anstrengung verfolgen kann, lachen darf und alles (ALLES!) bis aufs letzte Wort sofort versteht. In diesen Aufführungen darf der Schauspieler dann auch lamentieren, wie sehr er unter den Textkaskaden eines Dichters leidet und damit auch gleich seine Versprecher legitimieren. Da darf man auch nicht so genau artikulieren müssen, weil eh alle locker sind und auch mit dem Handy fotografieren dürfen, weil wir schließlich keiner Theateraufführung, sondern einer Performance beiwohnen.

Freilich macht es einem Vötter nicht leicht! Und wie es sein wird, mit Kramar zu arbeiten, weiß ich auch nicht. Dass ich Theaterzernichtungsmaschinen wie das Berliner Ensemble, das Schauspiel Bonn oder ähnliche Stadt- und Staatstheaterklamotten und ihre Uraufführungen feindlich gesinnten Ensembles überlebt habe, stimmt mich zuversichtlich.

Vervollständigt wird das Trio Infernale dieses Abends durch die beiden Schauspieler Markus Kofler und Daniel Doujenis. Beide schätze ich sehr und beide stehen für das, was ich am Theater liebe und was mich nicht daran verzweifeln lässt: Authentiziät, die auf handwerklichem Können beruht und persönliche moralische Integrität. Wenn ich dann noch den hommagierten Theaterdirektor Hubsi Kramar dazustelle, kann ich mich guten Gewissens erheben und mich verbeugen: „Chapeau!“

(Ernst M. Binder, September 2014)

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